Maria
Wege zum Magnificat
| Predigttext | Lukas 1,46-55 (Themapredigt) |
|---|---|
| Kirche / Ort: | Johannesdiakonie / 74821 Mosbach |
| Datum: | 21.12.2025 |
| Kirchenjahr: | 4. Sonntag im Advent |
| Autor: | Pfarrerin i. R. Birgit Lallathin |
Predigt: Lukas 1,46-55 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)
Und Maria sprach: Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes; denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder. Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und dessen Name heilig ist. Und seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht bei denen, die ihn fürchten. Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn. Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen. Er gedenkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf, wie er geredet hat zu unsern Vätern, Abraham und seinen Kindern in Ewigkeit. Liebe Gemeinde, wir kennen dieses Lied der Maria als Adventsli
Lieder
Maria durch ein Dornwald ging Magnificat Mit dir, Maria, singen wir
Maria könnte heulen. Den ganzen Tag! So schlimm ist es geworden. Heute morgen war sie wie immer zum Brunnen vor der Stadt gegangen, hatte das Wasser geholt, für ihre Familie, für die Ziegen im Stall. Niemand soll ihr nachsagen, sie sei keine anständige junge Frau! Sie tut ihre Pflicht, jeden Tag. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang ist sie auf den Beinen und macht alle Arbeiten im Haus und auf dem kleinen Stück Land, das ihrer Familie draußen vor der Stadt Nazareth gehört.
I
Aber nun, seit kurzem, immer wieder dieses Getuschel! Ständig sieht sie die andren jungen Mädchen, die beieinander stehen, leise reden, in ihre Richtung zeigen, aber ganz plötzlich aufhören, wenn sie näher kommt. Dann merkt sie, wie scheinheilig sie lächeln und so tun, als ob nichts wäre.
Oh doch: Es ist etwas! Und das ist keine Kleinigkeit. Maria weiß es ja seit ein paar Wochen. Heute aber war es besonders schlimm. Als sie mit dem großen Wasserkrug am Brunnen ankam, stand da Judith, die böse Schlange, und rief zu den anderen Frauen, die neben dem Brunnens standen und schwatzten: „Schaut doch mal: Maria trägt wohl nicht nur schwer an ihrem Wasserkrug. Ach, die Aaaarme!“, und alle lachten böse.
„Na, ist sich Madam denn nicht zu schade, zum Wasserholen?“ grinste Abigail. „Immer so fromm und heilig tun, immer beten! Aber das sagt sie ja nur. In Wirklichkeit ist unsere unschuldige Maria eine ganz Schlimme…“ Alle schüttelten sich vor Lachen.
Maria war fortgelaufen, den Krug nur halb gefüllt. Was soll sie den Frauen auch erzählen? Dass ihr ein Engel erschienen ist? Groß, herrlich, Ehrfurcht gebietend? Sie selbst hatte es ja für einen Traum gehalten. Im wahren Leben passiert so etwas nicht. Aber dann war ihre Regel ausgeblieben. Seit drei Monaten schon! Inzwischen sah man bereits ein kleines Bäuchlein! Ihre Brust war groß und schwer geworden. Die Frauen aus Nazareth sahen es natürlich auch. Kein Zweifel, Maria war schwanger. Aber noch nicht verheiratet! Sie muss sich unbedingt mit Josef, ihrem Verlobten, aussprechen. Am besten heiraten sie in aller Stille. Aber was, wenn Josef sie nicht mehr will? Wenn er sie verstößt, steht ihr eine furchtbare Strafe bevor! Maria weint jetzt hemmungslos!
„Oh Gott! Was hast du mir angetan! Ich wollte doch gerne anständig und fromm sein, und deinetwegen werde ich jetzt wahrscheinlich ausgestoßen aus der Familie, aus der Stadt! Ganz so, als ob ich nicht anständig gelebt hätte.“
II
Nun ist sie draußen auf dem Feld. Hinter der Stadt. Hier soll sie das Stückchen Land von den Dornranken befreien. Die langen, spitze Dornen stechen tief in die Haut, Blut quillt hervor, Maria merkt es kaum vor lauter Weinen. Maria, die stolz war auf ihre Vorfahren aus der Königsstadt Bethlehem, die alle Gebete kannte und Gott liebte, sie fühlt sich von Gott verlassen. Ausgerechnet jetzt, wo sie Gott am nötigsten bräuchte. Maria ist schwanger, aber sie hat keinen Mann als Vater! Was für ein Engel war es bloß, der ihr da begegnet war?
Lied: Maria durch ein Dornwald ging, Strophe 1
Maria muss unbedingt mit jemanden sprechen. Ein wirklich vertrauenswürdiger Mensch, eine wahre Freundin, die sie versteht. Die Mutter? Besser nicht! Leider nicht! Sie würde nur jammern, über „Ehre“ und „Anstand“ klagen! Die Geschichte mit dem Engel würde Mutter ihr niemals glauben.
Nein, Maria muss weiter fort. Da fällt ihr ihre Cousine Elisabeth ein. Sie war wie eine große Schwester für sie. Sie wohnt aber weit fort! Südlich von Jerusalem noch, in En Kerem. Mehr als 100 km über das Gebirge! Der Mann von Elisabeth, Zacharias, ist Priester am Tempel in Jerusalem. Die Beiden wissen bestimmt einen Rat für sie. Hauptsache, Maria muss nicht mehr jeden Tag diese Frauen von Nazareth und ihre Kommentare hören. Vielleicht beruhigen sich die Lästerrmäuler ja auch, wenn sie sie nicht mehr jeden Tag sehen.
In der nächsten Nacht bricht Maria auf. Heimlich. Der Mutter hinterlässt sie eine kleine Notiz. Maria schämt sich für die Lüge. Aber sie schreibt, ein durchfahrender Händler hätte ihr gesagt, Elisabeth hätte sie dringend zu sich gerufen, sie müsse sofort aufbrechen. Nur ganz wenig Gepäck und Reiseproviant nimmt Maria mit. Als sie im Dunkeln aus der Tür schleicht, überfällt sie die Angst. Ein so weiter Weg, so ungewiss, was ihr geschehen könnte. Sie rafft das Umschlagtuch fest um sich.
Auf einmal ist es Maria, als ob sie noch einmal die Stimme des Engels hört: „Fürchte dich nicht, Maria, Gott schenkt dir seine Gnade“, das hat er gesagt. Gilt das jetzt auch für ihren Weg über das Gebirge? Es wird ihr gleich wärmer, wenn sie an den Engel denkt. Sie vertraut. Gott wird mit ihr gehen auf ihrem Weg. Elisabeth wird ihr einen Rat geben können.
Lied: Maria durch ein Dornwald ging, Strophe 2
Der Weg ist lang, der Weg ist gefährlich. Aber Maria wird mutiger mit jedem Schritt, jedem Kilometer, den sie geht. Mühsam ist der Weg, steinig, durch verdorrte Landschaft, Dornbüsche am Wegrand. Es ist mal zu heiß, mal schneidend kalt. Doch Maria wandert weiter. Eine große Kraft und Ruhe überkommt sie. Sie fasst mit beiden Händen um ihr Bäuchlein.
Maria horcht in sich hinein. Sie weiß: Dieses kleine Wesen in ihr ist nicht ein Problem. Sie wird es lieben mit ganzer Kraft und ganzer Seele. Wie sehr das Kind auf sie, Maria, jetzt schon angewiesen ist! Schon meint sie, den winzig leisen, zarten Herzschlag zu spüren. „Du lebst, und ch werde für dich da sein. Ich werde deine Mutter sein, dich umsorgen, schützen.“ So redet sie mit dem Ungeborenen. Lange Stunden wandern sie so.
Langsam nähern sie sich Jerusalem, von ferne sehen sie den Tempel leuchten dort oben auf dem Berg. Als es Abend wird, am dritten Tag ihrer Reise, erreicht sie En Kerem. Wie wird sie gleich Elisabeth gegenüberstehen? Sie wollte sich doch Trost und Rat bei ihr holen, doch inzwischen spürt sie die große Kraft, die in ihr wohnt. Schenkt das ungeborene Kind ihr diese Kraft? Oder gibt sie dem Kind die Kraft? Maria staunt: Sie kann es nicht mehr auseinanderhalten.
Maria erreicht den Hof von Elisabeth und Zacharias. Rosen ranken hier über den Weg, so dornig, so struppig wie das Gestrüpp in den Bergen. Aber nun riecht Maria den Duft. Im Abendlicht haben sich alle Rosenknospen geöffnet. Der Garten ist erfüllt von ihrem Duft. Aber mehr noch als von diesem Duft ist Maria vom Glück erfüllt. Die letzten Meter läuft sie schneller, sieht bereits Elisabeth aus dem Haus treten.
III
Eine freudige Botschaft hat Maria, die muss sie Elisabeth unbedingt mitteilen: Der Engel hat ihr ein Kind verheißen, ein ganz und gar außergewöhnliches Kind, das der Retter sein wird. Darum wird Jesus sein Name sein. Der Engel hat es so gesagt! Kein Plan von Menschen wird sich mit ihrem Sohn erfüllen, sondern Gottes Plan, und sie, Maria, das unbedeutende Mädchen aus Nazareth, darf seine Mutter werden. Das ist nicht mehr die ängstliche und gedemütigte Maria, die jetzt in Elisabeths Arme läuft, nein, es ist Maria, die Mutter Jesu. Alles wird gut werden, denn Gott hat es so gewollt.
Lied: Maria durch ein Dornwald ging, Strophe 3
Warum strahlt Elisabeth sie so an? Maria ist erstaunt. Sie staunt noch mehr, als sie Elisabeths runden Bauch entdeckt. „Elisabeth, du bist auch schwanger", ruft sie. „Ihr habt so viele Jahre gewartet, und nun erwartest du ein Kind!?“ Scheinbar ist hier noch ein Wunder geschehen. “Ja", sagt Elisabeth, „Gott ist gnädig. Wie sehr hat mich das Geschwätz der Leute gedemütigt, weil Zacharias und ich keine Kinder haben konnten. Was haben wir geweint. Aber nun fühl mal, Maria, das Baby scheint vor Freude in meinem Bauch zu hüpfen!“
Tatsächlich, Maria spürt es genau: Maria erzählt jetzt Elisabeth vom Engel, der ihr erschienen ist, von ihrer Angst und dem Geschwätz der Leute. Elisabeth muss lachen: „Wir sind zwei absonderliche Frauen. Die eine bekommt ein Baby so spät und die andere zu früh. Aber es ist alles Gottes Plan. Bei Gott sind keine Dinge unmöglich, die Kleinen und Ohnmächtigen liebt Gott besonders. Heute sind das wohl wir Zwei."
Noch zweitausend Jahre später wird von diesen beiden Frauen und ihren Kindern erzählt. Der Sohn der Elisabeth wird Johannes der Täufer sein. Sein Name bedeutet: „Gott ist gnädig“. Marias Sohn ist Jesus, der Retter, das bedeutet sein Name. Wenn wir uns an diese beiden Frauen erinnern, erinnern wir auch an die vielen mutigen Frauen, die Kinder unter schwierigsten Umständen auf die Welt bringen. Sie sorgen für ihre Kinder in Flüchtlingscamps, in Kriegsgebieten. In Zeiten der Naturkatastrophen sorgen sie für Nahrung und Geborgenheit, teilen das Letzte, was sie haben, mit den Kleinen.
Sie kämpfen für die Kinder, für Bildung, für Gesundheit. Es gibt so viele dornige Wege in unserer Welt. Frauen durchqueren sie. Die Dornen verschwinden nicht, wenn Gott mit ihnen geht. Die Dornen bleiben grausam und hart. Aber, wenn das Wunder geschieht, wenn Gott mit uns allen diese Wege geht, dann können Dornen sogar Rosen tragen.